Jahrhunderte zurück reichen die vielfältigen Beziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika. Michi Strausfeld ist eine ausgewiesene Kennerin der lateinamerikanischen Kultur. Sie erinnert in einer lebendigen Schilderung an den fruchtbaren Austausch und die Spuren, die deutsche Wissenschaftler, Kaufleute, Künstler, Autoren in Lateinamerika hinterließen.
Der Titel Die Kaiserin von Galapagos ist etwas irreführend, denn er bezieht sich nur auf die spektakulärste Geschichte des Bandes. Darin landet eine angebliche Baronin mit Hofstaat auf einer paradiesischen Insel im Galapagos-Archipel, ruft sich zur Kaiserin aus und errichtet ein Schreckensregime: ein vielfach verfilmter Stoff.
Auch der Untertitel Deutsche Abenteuer in Lateinamerika verweist nur oberflächlich auf den wirklichen Inhalt.
Vielfältige, meist kulturelle Beziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika
Tatsächlich liegt hier ein zentrales Werk über die vielfältigen, meist kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und dem großen Kontinent vor. Sie haben allerdings inzwischen erheblich gelitten, was Michi Strausfeld zu ihrem Buch bewegt hat:
„Das ärgert mich, das macht mich traurig. Dann wollte ich einfach wissen, war das immer so, gab es mal in der Geschichte Momente, wo wirklich Deutsche und Lateinamerikaner ein enges Verhältnis hatten, wer war drüben, was haben sie gemacht. Das war der Ausgangspunkt.“
Und dieses Ungenügen hat sie zu einem Kaleidoskop aus 500 Jahren deutsch-lateinamerikanischer Verbindungen gestaltet.
Es reicht von dem ersten Kartografen Martin Waldseemüller, der 1507 mit seiner Landkarte den Namen ‚América‘ einführte, über Weltumsegler wie Adellbert von Chamisso, der sich im 19. Jahrhundert für den Reichtum der brasilianischen Natur begeisterte, bis hin zu Hermann Burmeister, der als Maler, Geologe, Botaniker, Meeresbiologe und Paläntologe die Bedeutung Argentiniens in seinem Bericht Reise durch die La Plata-Staaten angemessen würdigte.
Hier ist seine Leistung längst vergessen. Michi Strausfeld hat auf ihn und viele andere wieder hingewiesen:
„Vielleicht kann man auf dem Einen oder Anderen etwas aufbauen, z.B. die berühmte ‚Berliner Schule‘ mit den Archäologen, Ethnologen. Diese Forscher haben Großartiges geleistet für Lateinamerika und werden in den Ländern, in denen sie waren, verehrt, haben dort Statuen, Museen sind nach ihnen benannt, und wir wissen noch nicht einmal, wer das war.“
Deutsche haben in Lateinamerika viele Spuren hinterlassen
Wie im Fall Burmeister. Er hat immerhin das ‚Argentinische Museum der Naturwissenschaften‘ in Buenos Aires gegründet, und ein Denkmal erinnert an seine Leistungen.
Die Hälfte ihres rund 260 Seiten umfassenden Buches hat Michi Strausfeld dem 20. und 21. Jahrhundert gewidmet, der Zeit, in der sich die Beziehungen vervielfachten, zunächst besonders durch die Emigranten. Sie flohen aus der Not in Deutschland in den Süden Lateinamerikas und auch nach Mexiko.
Die mexikanische Schriftstellerin Elena Poniatowska hielt z.B. die deutsche Gemeinde „für eine der besten in unserem Land: alle gaben ihr Herzblut und ihren Verstand.“
Dazu gehörte z.B. der Fotograf Hugo Brehme, der an der Mexikanischen Revolution teilnahm und dem das „kanonische Bild“des legendären Anführers Emiliano Zapata gelang: mit dem landestypische Sombrero, überkreuzten Patronengürteln, Gewehr und Säbel.
Zahllose jüdische Emigranten flohen in den 1930er Jahren vor dem wachsenden Antisemitismus. Einige von ihnen gründeten z.B. berühmte Buchhandlungen, die teilweise heute nach existieren. Dann kam die Welle der Nazis, die im Süden unterzutauchen versuchten.
Michi Strausfeld meint: „Wie die Nazis dort unbehelligt haben leben können, das ist etwas, was einen heute noch schamrot werden lässt. Und dass die Diplomaten kein wirkliches Interesse hatten. Ich meine, dass Mengele dort 20 Jahre lang im Großraum São Paulo leben konnte und bei einem Herzinfarkt im Meer gestorben ist.
Und die Leute wussten, dass er da war, die Botschaften wussten es mit ziemlicher Sicherheit auch.“
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Mexiko: neue Heimat für viele Verfolgte
Unter den Emigrationsländern spielte Mexiko damals eine Sonderrolle, dank der liberalen Präsidentschaft von Lázaro Cárdenas und mexikanischer Diplomaten wie Gilberto Bosques, der für lebensrettende Visa in großer Zahl sorgte. Die erhielten vor allem politisch Verfolgte und Intellektuelle wie Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel oder Heinrich und Golo Mann.
„Und auch bildende Künstler. Und erstaunlich ist, das hat mich sehr überrascht, dass die bildenden Künstler fast alle geblieben sind... Da sieht man, dass eines der Hauptprobleme, dass Deutschland und Lateinamerika sich vielleicht nicht ausreichend kennen, sind die Sprachprobleme,“ sagt Michi Strausfeld.
Michi Strausfeld kann sie zwar nicht beheben, aber sie hat ein Werk vorgelegt, dass die Leserin und den Leser in eine weitgehend unbekannte Welt eintauchen lässt.
Die Fülle der Beispiele bewältigt sie durch eine besonders anschauliche Form der Darstellung. Dazu verwendet sie oft ausführliche Zitate von Zeitzeugen oder von Autoren, die über einzelne Aspekte geschrieben haben. Ihre ungemein detailreiche Studie ist ein profunder Beitrag zum Verständnis Lateinamerikas.
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