Beim Innovationslabor Zukunft testet das Schauspiel Stuttgart, ob Künstliche Intelligenz Kultur kann. Bei der Kafka-Adaption „Die Verwandlung des Gregor Samsung“ soll sie Szenen schreiben, Choreografien entwickeln und auf die Schauspielenden reagieren.
Eine KI soll den Job des Regisseurs übernehmen
Gregor Samsa erwacht aus unruhigen Träumen und er kann nicht zur Arbeit. Er hat sich über Nacht in ein Insekt verwandelt. Und auch Regisseur Wilke Weermann fällt aus. Aber – im Gegensatz zu Kafkas Protagonisten weiß er sich zu helfen und bittet eine KI seinen Job zu übernehmen.

Workaholic Gregor fällt in Kafkas Geschichte als Ernährer der Familie aus. Und analog dazu läuft auch beim Theater nichts ohne einen Regisseur. Die KI-Adaption bedient sich also auf mehreren Ebenen bei Kafkas Stoff.
Familie Samsung erinnert an die „Sims“
Was jetzt auf der Bühne stattfindet, ist in mehrfacher Hinsicht schräg. Und das liegt nicht nur an Kafkas ohnehin schon surrealer Geschichte. Die Familie heißt in der KI-Adaption nicht mehr Samsa, sondern Samsung. Die Schauspieler verkörpern keine Menschen, sondern eine Gruppe von Avataren. Während aber Kafkas Text mit Gregors Verwandlung beginnt, bekommt das Publikum hier sozusagen die Vorgeschichte geliefert.
Vater, Mutter, Tochter Grete und Sohn Gregor erinnern in ihren entmenschlichten Bewegungen an das Kult-Computerspiel „Sims“. Bei dem Rollenspiel geht es darum, das Leben der Sims zu gestalten, ihr Aussehen, das soziale Miteinander, die Häuser, in denen sie wohnen. Eine Lebenssimulation ohne konkretes Ziel. In weißen Kostümen und mit weiß, glänzenden Gesichtern bewegen sich die Avatare steif durch den Raum.

Auf den zweiten Blick stimmt etwas nicht so ganz
Es ist wie noch so oft, wenn die KI uns etwas Kreatives ausspucken soll: auf den ersten Blick sieht es stimmig aus, auf den zweiten ist da etwas nicht ganz richtig. Die Familie sitzt am Frühstückstisch in zwei Reihen hinter dem Tisch angeordnet. Als würden Vater und Mutter, Gregor und seine Schwester in einem Bus hintereinander sitzen.
Die KI wusste nicht, dass man um einen Tisch herum sitzt. So entstand eine kuriose Bühnenbild-Idee des Algorithmus.

Die Inszenierung als Versuchsaufstellung, die die Fehler der KI nicht versteckt, so erklärt es Regisseur Wilke Weermann: „Was besonders ist, ist dass wir uns fürs Festival erlaubt haben, das als Experiment zu betrachten. Darum setzen wir KI auf verschiedenen Ebenen ein. Ich habe sie benutzt, um mein Konzept zu erweitern, um Texte zu generieren. Es gibt assoziative Bilder von der KI, die hinten auf einer Leinwand laufen.“
Der Avatar Gregor entwickelt menschliche Züge
Vor allem als Choreografin konnte sich die KI beweisen. Gregor verwandelt sich nicht, wie in der Vorlage, in ein ungeheures Ungeziefer – der Avatar entwickelt menschliche Züge, hat, so gesehen – einen „Bug“. Der Begriff für einen Fehler in einem Computerprogramm – aber eben auch das englische Wort für Käfer.
Und die KI macht aus der wundersamen Verwandlung eine Show: „Man nehme eine Familie Samsung – müde, von Erwartungen beschwert. Und: einen großen Käfer. Einen Bug im System. Nahrhaft und proteinreich. Unser täglich Bot gibt uns heute…“
Anfangs gab es auch skeptische Stimmen zum Einsatz der KI im Stück
Auch Nils Corte war an der Inszenierung beteiligt. Der Theatermacher und Programmierer lotet immer wieder die Möglichkeiten von Digitalität auf der Bühne aus. Besonders begeistert hat ihn an dem Experiment, dass sich alle im Ensemble darauf eingelassen hätten, „obwohl es am Anfang auch skeptische Stimmen gab. Sollen wir uns jetzt von der KI jetzt sagen lassen, was wir auf der Bühne zu tun haben?“
Die kritische Debatte darüber, welche Rolle die KI zukünftig auf Theater Bühnen spielen könnte, sie wird auch im Stück ausgetragen. Dabei wird schnell deutlich: Das, was die KI da ausspuckt, hat oft großen komödiantischen Wert – aber sobald es in die Tiefe geht und echte Emotionen verhandelt werden sollen, stößt sie an ihre Grenzen.

Im Theater kommt die KI noch an ihre Grenzen
Die Bilanz von Regisseur Wilke Weermann: „Wir alle haben festgestellt, dass wir momentan noch gebraucht werden für den künstlerischen Prozess. Gerade Sprachmodelle greifen noch viel auf Klischees zurück. Wenn man was möchte, was einen neuen Gedanken aufmacht, muss man schon selbst die Idee haben.“
Die KI setzt dann um – oder versucht es zumindest. Eine augenzwinkernde und spannende Versuchsanordnung, die deutlich macht: So schnell wird die KI das Theater nicht übernehmen.
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