Der Koch als Kulturvermittler

Jamie Oliver wird 50: Vom Fernsehkoch zum Kulturphänomen

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Von Autor/in Samira Straub

Als Küchenrevoluzzer krempelte ein junger Brite, der am 27. Mai 50 Jahre alt wird, die Esskultur um. Er kocht mit Öl, Chaos und Überzeugung: Jamie Oliver brachte gesellschaftliche Fragen auf den Tisch – lange bevor Kochen als Haltung galt. Was der „Naked Chef“ der Popkultur hinterlässt.

London, Ende der 1990er-Jahre: Die Küche ist klein, die Arbeitsfläche voll. Irgendwo im Hintergrund läuft Blur, oder etwas, das nach Britpop klingt. Jamie Oliver steht am Herd, schüttet großzügig Olivenöl in die Pfanne – viel zu viel, eigentlich. Es zischt, spritzt, Flecken landen auf der Arbeitsplatte, auf seinem Karohemd. Er wischt nicht nach.

Mit bloßen Händen zerrupft Oliver Kräuter und zerquetscht Zitronen, dabei redet er ununterbrochen. Die Kamera ist nah dran, folgt ihm durch das kreative Chaos. „The Naked Chef“ wird zum Erfolg bei der BBC und zur Revolution des Kochfernsehens.

Jamie Oliver presst grobschlächtig eine Zitrone auf einen Fisch
Jamie Oliver ist kein steifer Koch im weißen Kittel, sondern ein sympathischer Sunnyboy mit Wuschelfrisur. Mit Londoner Slang statt belehrendem Tonfall erobert er die Herzen des Fernsehpublikums.

Alltagsinszenierungen jenseits der Perfektion

Bevor Jamie Oliver auftrat, war Kochen im Fernsehen eine saubere Angelegenheit: Studioküchen glänzten, Zutaten lagen grammgenau vorbereitet in Glasschälchen bereit. Die Figur des Fernsehkochs war autoritär und kompetent, aber selten inspirierend.

Jamie Oliver brach mit diesem Bild und stellte ungewollt infrage, warum Kochen je so distanziert inszeniert worden war.

Kochen als Lifestyle

Olivers Erfolg ist eng mit einem gesellschaftlichen Wandel verknüpft: Ende der Neunziger war in Großbritannien gerade New Labour an der Macht, Cool Britannia das Kulturlabel, das die Insel durchwehte. Kochen wurde zu einem Ausdruck des Lifestyles. Weg von der reinen Versorgung, hin zum zelebrierten Alltag.

Doch Oliver kochte nicht nur, er vermittelte ein Gefühl von Zugehörigkeit, das nicht auf reinem Fachwissen basierte, sondern auf der Lust am Tun.

Jamie Oliver
Die Gerichte von Jamie Oliver sehen eher nach WG-Küche als nach Sterne-Restaurant aus: Kochen war plötzlich kein Pflichtprogramm mehr, sondern Popkultur.

Der kumpelhafte Fernsehkoch Jamie Oliver als Medienidentität

Nicht allen schmeckte das. Wenn Oliver Zutaten wie selbstverständlich auf den Boden fallen ließ oder sie gar mit seinem Ärmel wegwischte, wirkte das für viele wie ein Affront gegen die Kochkunst. Für den gemeinen Zuschauer dagegen wirkte das befreiend.

In einem Land, in dem Kulinarik lange eng mit sozialer Klasse verknüpft war, machte Oliver das Kochen zu einem Ort, an dem Herkunft plötzlich nebensächlich schien. Seine frühe Fernsehrolle lässt sich lesen als bewusste Absage an das elitäre Ritual, das Essen bis dahin oft umgab.

Jamie Oliver und sein Freund und Kollege Tim Mälzer
Heute sind sie Freunde, früher waren sie Kollegen: Jamie Oliver und Tim Mälzer arbeiteten in den 90er-Jahren gemeinsam im Neal Street Restaurant des italienischen Kochs und Autoren Gennaro Contaldo.

So ungekünstelt Jamie Oliver auch wirkte – die Rolle des nahbaren Selfmade-Kochs war früh Teil einer sehr professionell aufgebauten Medienidentität. Das Küchenchaos war authentisch, aber nicht zufällig.

Die Figur Jamie Oliver bewegte sich mit zunehmendem Erfolg zwischen Identifikationsfläche und Marketingmaschine, und nicht immer war klar, wo der Mensch aufhörte und das Label begann.

Ein Gegenbild zur Haute Cuisine

Denn Jamie Oliver verstand früh, dass sich über Essen soziale Fragen verhandeln lassen. Seine Nähe zur Working Class, sein DIY-Ethos, seine entspannte Sprache: All das machte ihn zum fleischgewordenen Gegenbild zur Haute Cuisine.

Ähnlich wie Anthony Bourdain in den Vereinigten Staaten oder Tim Mälzer in Deutschland wurde er zur Identifikationsfigur einer neuen Generation von Fernsehköchen: kumpelhaft, urban, und immer mit einem Fuß in der Popkultur.

Jamie Oliver bei einer Signierstunde für sein Kochbuch "Jamies America"
Mit über 50 Millionen verkauften Kochbüchern weltweit ist Oliver der erfolgreichste Kochbuchautor der Welt.

Erfolgreichster Kochbuchautor der Welt

Dabei war er auch ein feiner Seismograf für gesellschaftliche Stimmungen. Seine Bücher und Sendungen entwickelten sich mit den Debatten: vom schnellen After-Work-Essen („Jamie's 15 Minuten Küche“) zur Familienküche, von italienischen Klassikern zu fleischlosen Rezepten mit ökologischem Bewusstsein. Immer mit der gleichen Haltung: Essen ist politisch, aber nicht dogmatisch.

Seine Kochbücher machten ihn zum erfolgreichsten Kochbuchautoren der Welt. Ihre Sprache, nah am Mündlichen, wurde zum Markenzeichen, genauso wie die Fotos fernab des Hochglanzes.

Jamie Oliver
Mit seiner Kampagne für gesünderes Schulessen zog Jamie Oliver durch britische Kantinen, ließ Chicken Nuggets abräumen und Brokkoli servieren – vor laufender Kamera und mit dem Anspruch, Ernährungspolitik populär zu machen.

Immer wieder scheiterte Jamie Oliver

Doch nicht alles, was Jamie Oliver anrührte, wurde zum Erfolg. Seine Restaurantkette „Jamie’s Italian“, einst als demokratische Antwort auf Fine Dining gefeiert, ging 2019 pleite – ein wirtschaftlicher und symbolischer Einbruch. Zu viele Filialen und zu wenig Substanz, so die Kritik.

Auch als politischer Akteur war er nicht immer unumstritten: Seine Kampagnen für gesünderes Schulessen oder gegen Zuckerüberschuss wurden mal als vorbildlich, mal als bevormundend eingeordnet.

Für viele blieb der einstige Straßenkoch greifbar. Andere sahen in ihm zunehmend eine moralische Instanz, die sich mit wachsendem Sendungsbewusstsein von ihrer Zielgruppe entfernte.

Jamie Oliver zeigt in einer weißen Kochjacke in die Kamera
Mit 50 Jahren ist Oliver Unternehmer, politischer Aktivist, Schulreformer, Bestsellerautor – und zugleich eine Projektionsfläche für all das, was Kochen in den letzten 25 Jahren geworden ist.

Jamie Olivers Standing als bekanntester Koch der Welt liegt nicht nur in seinen Sendungen, sondern in der Art, wie er Kochen neu kodiert hat: als Praxis zwischen Alltag, Verantwortung und Genuss.

Zwischen Anti-Elite-Attitüde und Markenmaschinerie

Jamie Oliver hat das Kochen entmystifiziert und dabei en passant eine Figur geschaffen, die größer wurde als ihre Rezepte. Er brachte Haltung auf den Bildschirm, lange bevor das zum Konzept für Köch*innen in den sozialen Medien wurde, und verankerte die Küche im Hier und Jetzt der Gesellschaft.

Jools Oliver (links) and Jamie Oliver in London, 2023
Jools Oliver (links) and Jamie Oliver in London, 2023: Das Ehepaar Oliver hat fünf Kinder. Sohn Buddy eifert seinem Vater nach kocht bereits auf seinem eigenen Youtube-Kanal.

Im schnelllebigen Medienzeitalter inszenierte sich Jamie Oliver als gesellschaftlich engagierter Kulturvermittler. Doch je mehr er erreichen wollte, desto sichtbarer wurden auch die Brüche: die Ambivalenz zwischen Anti-Elite-Attitüde und Markenmaschinerie, zwischen Aktivismus und Moralinschwere.

Sein größter Einfluss liegt aber vielleicht gerade darin: Das Kochen aus seiner Nische ins allgemeine Interesse zu bringen – mitsamt all der Widersprüche, die dazugehören.

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Samira Straub