Mit Spielfilmen wie „Der Tod des Ludwig XIV.“ und zuletzt „Pacifiction“ wurde der Katalane Albert Serra zu einem der wichtigsten europäischen Autorenfilmer. Jetzt hat er einen Dokumentarfilm über die Matadore des Stierkampfs gedreht. Ein Film über den Versuch, intensiver zu leben und über die Sucht nach der Gefahr des Sterbens.
Der Matador erinnert an Tom Cruise
Zunächst sieht man Stolz und Einsamkeit. Den Stolz und die Einsamkeit eines Stiers. Dann folgt ein Bildschnitt und der Matador erscheint, verschwitzt, nach dem Kampf. Der Matador sieht äußerlich unerwartet knabenhaft aus und seltsam unmännlich. Ein wenig ähnelt er Tom Cruise. Unschuldig, zugleich „blutjung" und uralt.

In diesem Film sehen wir Stiere. Und wir sehen Männer bei der Arbeit. Blut auf der Wäsche des Toreros. Eine Wunde an seinem Körper. Dann wieder Stille und Einsamkeit. Ritual, Anmut, Intimität. Es gibt keine Totalen in diesem Film, nur Nahaufnahmen oder allenfalls Halbtotalen. Dafür extreme Nähe: Das Schnauben des Bullen, das Stöhnen des Menschen. Das außerhalb des Bildfelds liegende Publikum, das die Arena füllt, ist nur in der Tonspur präsent.
Der Stierkampf als Sport, Ritual und Kampf
Dies ist eine der bemerkenswertesten Facetten dieser anthropologischen Film-Untersuchung, die Albert Serra unternimmt: Seine Bilder verzichten völlig auf das Spektakel, und konzentrieren sich ausschließlich auf den ungleichen choreografischen Tanz, den der Torero und der Stier in der Mitte der Arena aufführen. Dies ist ein Film der beide Seiten gleichberechtigt zeigt: Den Matador und das Tier; das Pro und das Contra dieses Treibens, das man als Sport ebenso beschreiben kann, wie als Ritual. Als Kampf. Als Opfergang. Als Kunstform.

Kein Film über die Debatte um Stierkämpfe
„Tardes de Soledad" ist kein Film über die Debatte um Stierkämpfe. Geschickt entzieht er sich allen möglichen Vereinnahmungen. Es ist ein Film über Menschen, die Spezialisten sind in ihrem Feld, die die Schönheit dieses Feldes zelebrieren für die, die es zu schätzen wissen. Auch für diejenigen die neu sind und neugierig, die keine Vorurteile haben.
Große Inszenierung und bildschöne Kamerasprache
Regisseur Albert Serra ist einer der Meister des Gegenwartskinos mit einer ganz eigenen Filmästhetik. Sie mischt meditative und ruhige Elemente mit Action, mit großer Inszenierung und mit einer bildschönen Kamerasprache, die die Neugier des Regisseurs ins Bild fasst. Stilistisch ist dies eine Absage an das Kino der reinen Langsamkeit, an Slow-Cinema, dabei eine Hinwendung zum Kino des Rhythmus, des "Flow", der ruhigen Meditation. Man sieht den Kämpfern auch beim Denken zu, man sieht, wie sie sich der Gefahr bewusst sind, der sie sich aussetzen.

Dieser Film schaut dem Tod ins Auge
Es ist auch ein Film über das freiwillige Riskieren, der Möglichkeit zu sterben, der sich Menschen hier wie in vielen anderen Hochleistungstätigkeiten aussetzen. Man könnte sagen, dieser Film bringt uns das Sterben bei, es ist ein Film über das Sterben lernen", einen universalen Topos der Philosophie spätestens seit Montaigne.
Albert Serra fragt, warum es uns fasziniert und was es bedeutet, wenn wir dem Töten und dem Sterben zuschauen. Es geht um die Macht der Tradition, um Transzendenz, um die Überwindung des Todes, um das „Gefährlichleben". Stierkampf ist tödlich. Wie die Kunst.