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Etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Polyneuropathie – zum Teil ohne es zu wissen. Diese Erkrankung der Nerven kann einfachste Tätigkeiten zur Herausforderung machen.
Dahinter steckt eine Schädigung der langen Nerven, die Muskeln, Haut und Organe mit dem Gehirn verbinden. Die häufigste Ursache für eine Polyneuropathie ist Diabetes mellitus.
Polyneuropathie – was heißt das?
Polyneuropathie bedeutet, dass mehrere Nerven, außerhalb von Gehirn und Rückenmark, geschädigt sind. Häufig sind es lange, sensible Nervenfasern, die bis in den Fuß reichen.
Sind sie geschädigt, werden Signale nicht mehr richtig weitergeleitet. Die Haut kann sich dann taub oder wattig anfühlen, grundlos kribbeln oder schmerzen. Oft sind Füße, Hände oder Beine betroffen.
Schäden an motorischen Nerven können auch die Muskulatur schwächen oder lähmen. Selbst Herzschlag, Verdauung oder Blasenfunktion können aus dem Gleichgewicht geraten – wenn das autonome Nervensystem betroffen ist.
Die Diagnose bei Polyneuropathie
Professor Frank Birklein, Leiter der Klinik und Polyklinik für Neurologie an der Universitätsmedizin Mainz, weist für die Abklärung einer Nervenerkrankung wie der Polyneuropathie auf die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie hin.
Der Experte erklärt: “In der Regel ist es eine Reihe von Blutuntersuchungen. Aber das sind Routineuntersuchungen. Da sollte es meines Erachtens kein Problem geben, dass das die Krankenkasse bezahlt.”
Medizin Nervenleiden Polyneuropathie – Viele Ursachen, schwierige Diagnose
Brennende Schmerzen an der Fußsohle, Muskelkrämpfe in den Waden, Stiche in den Oberschenkeln: Ursache kann eine Polyneuropathie sein, eine Erkrankung der Nerven. Was hilft?
Warum Diabetiker besonders gefährdet sind
Gefühlsstörungen in Händen und Füßen können Symptome einer diabetischen Polyneuropathie sein, bei der Nerven durch dauerhaft erhöhten Blutzucker geschädigt werden. Früh erkannt, lässt sich das Fortschreiten der Erkrankung bremsen – etwa durch gute Blutzuckerkontrolle, Bewegung und gezielte Therapien.
Die Schäden beginnen jedoch oft schleichend. Deshalb raten Experten wie Privatdozent Dr. Zoltan Kender, Oberarzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Stoffwechselkrankheiten und Klinische Chemie an der Universitätsklinik Heidelberg, zu regelmäßigen Untersuchungen. Nur so kann man schwerwiegende Folgen wie das diabetische Fußsyndrom vermeiden.
Früherkennung von Polyneuropathie für Diabetiker enorm wichtig
Auch wenn der Blutzucker regelmäßig kontrolliert und mit Tabletten gesenkt wird - im Laufe vieler Jahre kann Diabetes dennoch die Nerven schädigen. Rund jeder zweite Diabetes-Patient entwickelt eine Polyneuropathie. Doch wegen des schleichenden Verlaufs wird das meist spät erkannt.
“Früherkennung wäre sehr wichtig”, betont Oberarzt Dr. Kender. Die Patienten würden die Symptome am Anfang oft kaum merken. “Und wenn sie zu uns kommen, sind die Nervenschädigungen schon so stark, dass wir wenig helfen können.”
Daher sollten Diabetes-Patienten regelmäßig zu Symptomen befragt und die Nervenfunktion untersucht werden.
- Ein Hinweis auf Nervenschäden ist zum Beispiel ein verringertes Vibrationsempfinden.
- Auch die Temperaturempfindlichkeit sollte regelmäßig untersucht werden – also das Kälte- und Wärmeempfinden.
Solche Missempfindungen können sonst im Alltag auch zu Verletzungen führen. Für Diabetiker sind Verletzungen besonders riskant.
Werden Verletzungen oder Druckstellen nicht bemerkt, droht ein diabetisches Fußsyndrom. Bis zu 850.000 Menschen in Deutschland haben Infektionen oder Geschwüre am Fuß, die schlecht oder gar nicht heilen - zum Beispiel am Fußballen oder an den Zehen.
Reicht die fachgerechte Versorgung nicht aus, muss sogar amputiert werden. Um solche Komplikationen zu vermeiden, zählt vor allem eins: Nervenschäden früh erkennen – und die Patienten gut aufklären.
Keine Heilung für diabetische Polyneuropathie
Werden Schmerzen schlimmer, können etwa spezielle Schmerzpflaster oder Medikamente helfen. Übliche Schmerzmittel helfen jedoch nicht.
Die diabetische Polyneuropathie kann man bislang nicht heilen, aber das Fortschreiten verlangsamen. Dabei hilft eine gute Einstellung des Blutzuckers sowie der Verzicht auf Rauchen und Alkohol - und möglichst viel Bewegung.
Chemotherapie gegen Krebs kann Polyneuropathie verursachen
Was viele nicht wissen: Auch Toxine wie Alkohol und Medikamente können eine Polyneuropathie auslösen – also Taubheit und Kribbeln in Händen und Füßen. Vor allem solche Arzneimittel, die nach Krebserkrankungen in der Chemotherapie eingesetzt werden.
Denn Medikamente gegen Krebs wie etwa Platin-Verbindungen, Taxane oder Vinca-Alkaloide können auch Nerven schädigen. Rund zwei Drittel der Krebspatienten entwickeln diese Symptome.
Betroffene können aber etwas dagegen tun. Experten empfehlen: Bewegung und Training, am besten in der Gruppe.
Auch Kühlen und Kompression können Nervenschäden deutlich verringern. Das hat eine Heidelberger Studie mit über 100 Brustkrebs-Patientinnen festgestellt.
Kribbeln, Taubheit, Unsicherheit – so hilft Bewegung bei Polyneuropathie
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg bietet ein spezielles Trainingsprogramm an, das bei Patienten gezielt Gleichgewicht, Kraft und Nervenwahrnehmung fördert. Studien deuten darauf hin, dass frühzeitige Bewegung während oder nach der Chemo die Symptome lindern kann – auch wenn die Nerven nicht vollständig heilen.
Hier trainieren Polyneuropathie-Gruppen regelmäßig. Der Kurs eignet sich zur Reha, aber auch zur Prävention während der Chemo.
Die Leiterin, Sportwissenschaftlerin Dr. Jana Müller, sagt: „Am wichtigsten ist es, glaube ich, so früh wie möglich anzufangen.” Doch auch nach Eintritt der ersten Symptome sei die Bewegung sinnvoll.
“Es gibt auch Studien, die zeigen: Patienten, die besonders betroffen sind, profitieren am meisten.” Gerade dann sollten sich Patienten Hilfe suchen und an solchen Kursen teilnehmen.
Bewegung und das richtige Training gegen Polyneuropathie
Übungen für das gestörte Gleichgewicht wirken sich aus auf Nervenschäden in den Füßen. Zusätzlich kann durch die Bewegung die Koordination gefördert werden und das Zusammenspiel von Muskeln und Nerven. Zum Gleichgewichtstraining kommen auch Kraftübungen - zum Beispiel mit Bändern.
Polyneuropathie führt oft zu unsicherem Gang. Hier helfen Übungen, die die seitliche Bein- und Hüftmuskulatur trainieren. Sie sollen im Alltag stabilisieren und damit auch das Sturzrisiko senken.
Einige Studien zeigen zwar, dass gezieltes Training während der Chemo die Symptome einer Polyneuropathie verringern kann. Aber insgesamt ist die Studienlage gemischt, auch weil sich darin die Chemotherapien und Trainingskurse sehr unterscheiden.
Dr. Jana Müller hat in einer eigenen Präventionsstudie am NCT beobachtet, dass es vielen Patienten schwerfällt, zwei bis drei Mal pro Woche zu trainieren aufgrund der Nebenwirkungen der Chemotherapie - wie etwa Übelkeit und Abgeschlagenheit. Aber Patienten, denen das Training möglich war, hätten über weniger Symptome in den Füßen berichtet, wie zum Beispiel das Kribbeln, Brennen und Taubheitsgefühl.
Zudem zeigt sich in den Trainingsgruppen, den Patientinnen und Patienten hilft nicht nur die Bewegung bei der Linderung der Symptome, sondern auch die Gruppenerfahrung. Beim Training in der Gruppe stellen sie fest, dass es andere Betroffene gibt, und sie können sich mit ihnen austauschen.
Beides unterstützt viele, mit der Krankheit besser zurechtzukommen.
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Weitere Ursachen für Neuropathien
Für Neuropathien gibt es viele verschiedene Ursachen. Professor Frank Birklein von der Universitätsmedizin Mainz erklärt, weniger häufige Arten der Neuropathien seien etwa immunvermittelte Neuropathien mit Lähmungen. “Sie werden weniger beim Hausarzt diagnostiziert, sondern eher in der Notaufnahme, weil sie relativ rasch mit Paresen einhergehen können. Da gehört das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) dazu, mit all ihren Varianten.”
- Außerdem gibt es erbliche Neuropathien.
- Neuropathien können auch mit anderen Systemerkrankungen auftreten, wie Lungenerkrankungen, Sarkoidose oder Rheuma.
- Auch Stoffwechselerkrankungen wie Schilddrüsenfunktionsstörung oder Niereninsuffizienz können Neuropathien verursachen.
Besonders schwierig sei die Diagnose, wenn verschiedene Ursachen zusammenkommen. Allerdings komme das häufig vor, weiß Professor Birklein.
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Medikamentöse und nicht-medikamentöse Verfahren gegen Neuropathie
Zur Behandlung gegen Neuropathie gibt es als nicht-medikamentöse Verfahren gegen Schmerzen auch Pflaster zum Aufkleben auf die Haut, erklärt Professor Birklein. Ein anderes Verfahren sind TENS, die zur Stimulierung der Nerven über die Haut mit Strom aufgeklebt werden.
Hierbei werden vor allem die Nervenfasern angeregt, die nicht den Schmerz transportieren. “Das drückt dann sozusagen den Schmerz weg”, sagt Professor Birklein.
Für die medikamentöse Therapie der Schmerzen bei einer Polyneuropathie werden vor allem Medikamente eingesetzt, die eigentlich gegen Depressionen oder Epilepsie helfen - Antiepileptika und Antidepressiva.
Professor Birklein erklärt: “Sie wirken gegen die Schmerzen bei einer Polyneuropathie. Nicht gegen die Polyneuropathie selbst. Wenn man die Polyneuropathie behandeln will, muss man die Ursache behandeln können. Aber gegen Schmerzen wirkt das in der Tat sehr gut.”