150. Todestag des Komponisten

Georges Bizet – Seine letzte Oper „Carmen“ machte ihn unsterblich

Stand

Von Autor/in Dominic Konrad

Heute gehört „Carmen“ zu den größten Opernerfolgen der Welt. In unzähligen Verfilmungen, Einspielungen und Adaptionen wird die Geschichte der verführerischen Femme fatale immer wieder neu erzählt. Ihr Komponist Georges Bizet sollte den Weltruhm seiner Oper nicht mehr erleben. Er starb am 3. Juni 1875 mit nur 36 Jahren im Glauben, einen Misserfolg geschrieben zu haben.

Der Abend beginnt eigentlich sehr erfreulich für Georges Bizet, als am 3. März 1875 seine neueste Oper „Carmen“ Premiere feiert. „Gute Wirkung des ersten Aktes. Viele Leute strömen auf die Bühne, Bizet wird umringt und herzlich beglückwünscht“, notiert einer der beiden Librettisten, Ludovic Halévy.

Doch im zweiten Akt dreht sich das Glück. Halévy schreibt weiter: „Das Publikum scheint verwundert, weiß sich nicht zurecht zu finden. Nach dem vierten Akt, der von Anfang bis Schluss mit eisiger Stimmung aufgenommen wird, bleibt die Bühne leer, nur drei oder vier wahre Freunde stellen sich bei Bizet ein. ‚Carmen‘ ist durchgefallen.“

Bei der Premiere fällt „Carmen“ durch

Vielleicht ist das gewohnheitsliebende Publikum der Pariser Opéra-Comique nicht bereit für „Carmen“. Auf der Bühne, auf der nur selten kontroverse Stoffe verhandelt werden, erzählen Bizet und seine beiden Librettisten die Geschichte einer fremdländischen Verführerin.

Was in einer operettenhaft-schönen spanischen Szenerie beginnt, entpuppt sich schließlich als die Geschichte eines liebestrunkenen Soldaten, der von als Romni charakterisierten Carmen in eine zwielichtige Welt der Bettler und Ganoven lockt und der schließlich aus schierer Eifersucht zu ihrem Mörder wird.

Den bahnbrechenden Erfolg, den seine „Carmen“ einmal haben wird, wird Bizet nicht mehr miterleben. Knapp drei Monate nach der Uraufführung seiner Oper stirbt er, vermutlich an einem Herzinfarkt. Er ist gerade einmal 36 Jahre alt. Der große Komponistenruhm ist ihm zeitlebens verwehrt geblieben.

Von Kindesbeinen an zum Musiker erzogen

Schon in der frühesten Kindheit wird Bizet von den Eltern musikalisch gefördert. Der Vater war ursprünglich Perückenmacher, macht dann aber als Gesangslehrer Karriere. Die Mutter ist Pianistin. Noch kurz vor seinem zehnten Geburtstag wird der kleine Georges am Pariser Konservatorium aufgenommen.

Hier weckt er das Interesse von Fromental Halévy und Charles Gounod – beide musikalische Schwergewichte in der Pariser Opernszene Mitte des 19. Jahrhunderts.

Beide Komponisten werden Bizet über seine Zeit am Konservatorium hinaus rege unterstützen. Nach Halévys Tod wird Bizet dessen letzte Oper „Noé“ vollenden und 1869 seine Tochter Geneviève heiraten. Gegenüber dem 20 Jahre älteren Gounod ist Bizet voller Verehrung:

Als ich geboren wurde, waren Sie bereits ein Künstler. Ich bin aus Ihnen entsprungen; Sie sind die Ursache, ich bin die Folge. Heute kann ich Ihnen gestehen, dass ich Sorge hatte, in Ihren Schatten gestellt zu werden, und welche Mühe mir das gemacht hat, müssen Sie bemerkt haben.

Schauspieler führen auf der Seebühne in Bregenz die Oper "Carmen" von Georges Bizet auf. In der Szene zeigt Carmen (Sopranistin Gaëlle Arquez) auf Don José (Tenor Daniel Johansson).
Auch 150 Jahre nach ihrer Uraufführung bleibt „Carmen“ eine der erfolgreichsten Opern der Welt. Eine denkwürdige Inszenierung lieferte Regisseur Kasper Holten 2017 auf der Bregenzer Seebühne.

Lehrjahre in Rom: Wenig produktiv, aber prägend

Bizets Chancen in den Pariser Komponistenkreisen steigen, als er 1857 für seine Kantate „Clovis et Clotilde“ mit dem Prix de Rome ausgezeichnet wird.

Der 19-Jährige erhält ein Stipendium, das ihm die Möglichkeit geben soll, zwei Jahre in Rom, ein Jahr in Deutschland und schließlich zwei Jahre in Paris zu studieren und zu komponieren.

BIZET // Clovis & Clotilde: Prière de Clotilde "Prière, ô doux souffle de l'ange!" by Véronique Gens

Bizet hat viele Ideen, doch nur wenige Werke entstehen in den Stipendiumsjahren. Der junge Komponist hat wenig Interesse an sakralen Themen, lediglich ein „Te Deum“ komponiert er für einen Wettbewerb – und es fällt bei der Jury durch. Hingegen kristallisiert sich im Lehrstück „Don Procopio“ – einer erst 1957 fertiggestellten Opera buffa – Bizets Händchen für das Musikdrama heraus.

Die Station in Deutschland wird Bizet nie antreten. Er reist direkt nach Paris zurück, denn seine Mutter ist schwer erkrankt. Zurück in der Heimatstadt versucht Bizet nun, sich an der Oper einen Namen zu machen – auch des lieben Geldes wegen.

So notiert Bizet: „100.000 Francs sind noch gar nichts – gerade zwei bescheidene Erfolge an der Opéra-Comique. Ein Erfolg wie Meyerbeers ‚Le Prophète‘ bringt fast eine Million.“

Musikstunde Georges Bizet – Carmen und Co. (1-5)

Mit Nick-Martin Sternitzke

Musikstunde SWR Kultur

Unzählige Opernideen, doch nur mittelmäßige Libretti

An Ideen für Opern mangelt es Bizet nicht. Er erwägt, sich an Stoffen wie Shakespeares „Hamlet“, Cervantes‘ „Don Quijote“ oder Victor Hugos „Glöckner von Notre-Dame“ zu versuchen. Zeitweise überlegt er, selbst einen Stoff von Molière für die Oper zu adaptieren. Doch die Libretti, die man ihm anbietet, sind allenfalls Mittelklasse.

Drei Opern, die Bizet in den frühen 1860er-Jahren schreibt, bleiben zu Lebzeiten unaufgeführt. Seinen Lebensunterhalt finanziert der Komponist mit Klavierstunden und Orchestrierungsarbeiten. Und bleibt nicht ohne Häme für einige der Werke, die er arrangiert:

„Die Gelegenheit meiner Rache habe ich bereits wahrgenommen. Ich habe das Orchester gemeiner behandelt, als die Natur es vorgesehen hat“, schreibt er etwa über einen Walzer, der in seine Finger gelangt.

Bocelli und Terfel singen das Freundesduett aus Bizets „Les Pêcheurs de perles“

Andrea Bocelli and Bryn Terfel: Au Fond Du Temple Saint - from Bizet's Les pêcheurs de perles (HD)

Verrisse, Misserfolge, Fehlbesetzungen

Seine „Perlenfischer“ schaffen es 1863 auf die Bühne des Pariser Théâtre Lyrique, die Oper fällt bei der Kritik allerdings durch und verschwindet nach 18 Vorstellungen von der Bühne.

Auch seine nächste Oper „La Jolie fille de Perth“ (1867) nach einem Roman von Walter Scott, wird von den Kritikern zerrissen – mehr wegen des klischeebeladenen Librettos. Bizets musikalische Entwicklung wird eher wohlwollend besprochen. Seine einaktige Oper „Djamileh“ scheitert an der Besetzung ihrer Hauptrolle.

Schwarz-weiß Fotografie der Opernsängerin Célestine Galli-Marié in ihrem Kostüm als Carmen mit Schmuckkamm, Schleier und geschmücktem Mieder.
Sang in der Welt-Uraufführung am 3. März 1875 die Titelrolle der Carmen: Die französische Opernsängerin Célestine Galli-Marié (1837 - 1905).

„Carmens“ Siegeszug nach Bizets Tod

Mit „Carmen“ scheinen alle diese Probleme überwunden. Nach einer Vorlage von Prosper Mérimée schreiben mit Ludovic Halévy und Henri Meilhac zwei Autoren das Libretto, die für Offenbach Hits wie „La Belle Hélène“ oder „La Vie parisienne“ geschrieben haben. Die Hauptrolle singt die erfolgreiche Mezzosopranistin Célestine Galli-Marié. Unter den Besuchern der Premiere sind die führenden Komponisten von Paris: Massenet, Offenbach und Gounod.

Letzterer echauffiert sich schließlich über die Zitate, die Bizet aus seinen Werken entlehnt: „Diese Melodie stammt von mir! Georges hat sie mir gestohlen; nimm die spanischen Melodien und meine aus der Partitur heraus, und es bleibt nichts von Bizet übrig als die Soße, mit der er beide übergoss und versteckte“.

Dennoch: Ein radikaler Misserfolg ist „Carmen“ nicht. 40 Vorstellungen werden in Paris gegeben. Ein Jahr später wird die Oper in Wien gespielt und startet von dort aus ihren weltweiten Siegeszug. Georges Bizet wird ihn nicht mehr erleben.

Adaptionen als Musical, Ballett, Film und Orchesterstück

Heute gilt Bizets letzte Oper als eines der einflussreichsten Werke seiner Gattung. „Carmen“ lebt in vielen Formen weiter: als Orchestersuite, als Musical „Carmen Jones“, als Ballett „The Car Man“ und in zahlreichen Verfilmungen. Und nach wie vor natürlich auf den Bühnen der Welt. Nach 150 Jahren ist nach wie vor kein Ende in Sicht.

Musikstunde Georges Bizet – Carmen und Co. (1-5)

Mit Nick-Martin Sternitzke

Musikstunde SWR Kultur

Bis heute eine der beliebtesten Opern Legendäre Femme fatale? Vor 150 Jahren wurde Bizets Oper „Carmen“ uraufgeführt

In der Aufführungsstatistik spielt sie in der obersten Liga mit: „Carmen“ von Georges Bizet. Die Oper gehört zu den meistgespielten und populärsten Opern überhaupt.

Treffpunkt Klassik SWR Kultur

Mehr als nur „Carmen“ Zum 150. Todestag: Eine unbekannte Bizet-Perle am Pariser Châtelet-Theater

Das Forschungszentrum Palazzetto Bru Zane sucht auch bei bekannten Komponisten nach Unbekanntem. Nun wird Bizets erste Oper „Le Docteur miracle“ in Paris wiederaufgeführt.

Treffpunkt Klassik SWR Kultur

Album-Tipp Eine Fundgrube für Bizet-Fans: Vier CDs feiern den unbekannten Georges Bizet

Bru Zane bringt zur Erinnerung an den 150. Todestag von Georges Bizet eine vierteilige CD-Edition heraus: Fünf Stunden Musik, die dem unbekannten Bizet gewidmet sind. Sieben Ersteinspielungen sind darunter, verschollene Operneinakter, Kantaten und Chorstücke, aber auch Lieder und Klaviermusik. Eine wahre Fundgrube fürs Repertoire, findet SWR-Kritikerin Eleonore Büning.

Treffpunkt Klassik SWR Kultur

Album-Tipp Don Giovanni für Klavier transkribiert von Bizet: Cyprien Katsaris

Wer heute nach Klavierauszügen von kompletten Opern sucht, landet im aktuellen Sortiment meist bei Herausgebern, die keinen großen Namen tragen. Das war nicht immer so. Georges Bizet etwa hat eine komplette Bearbeitung von Mozarts „Don Giovanni“ eingerichtet. Eingespielt hat sie nun der Pianist Cyprien Katsaris berichtet der Musikkritiker Christoph Vratz.

SWR2 Treffpunkt Klassik SWR2

Stand
Autor/in
Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik