Der Abend beginnt eigentlich sehr erfreulich für Georges Bizet, als am 3. März 1875 seine neueste Oper „Carmen“ Premiere feiert. „Gute Wirkung des ersten Aktes. Viele Leute strömen auf die Bühne, Bizet wird umringt und herzlich beglückwünscht“, notiert einer der beiden Librettisten, Ludovic Halévy.
Doch im zweiten Akt dreht sich das Glück. Halévy schreibt weiter: „Das Publikum scheint verwundert, weiß sich nicht zurecht zu finden. Nach dem vierten Akt, der von Anfang bis Schluss mit eisiger Stimmung aufgenommen wird, bleibt die Bühne leer, nur drei oder vier wahre Freunde stellen sich bei Bizet ein. ‚Carmen‘ ist durchgefallen.“
Bei der Premiere fällt „Carmen“ durch
Vielleicht ist das gewohnheitsliebende Publikum der Pariser Opéra-Comique nicht bereit für „Carmen“. Auf der Bühne, auf der nur selten kontroverse Stoffe verhandelt werden, erzählen Bizet und seine beiden Librettisten die Geschichte einer fremdländischen Verführerin.
Was in einer operettenhaft-schönen spanischen Szenerie beginnt, entpuppt sich schließlich als die Geschichte eines liebestrunkenen Soldaten, der von als Romni charakterisierten Carmen in eine zwielichtige Welt der Bettler und Ganoven lockt und der schließlich aus schierer Eifersucht zu ihrem Mörder wird.
Den bahnbrechenden Erfolg, den seine „Carmen“ einmal haben wird, wird Bizet nicht mehr miterleben. Knapp drei Monate nach der Uraufführung seiner Oper stirbt er, vermutlich an einem Herzinfarkt. Er ist gerade einmal 36 Jahre alt. Der große Komponistenruhm ist ihm zeitlebens verwehrt geblieben.
Von Kindesbeinen an zum Musiker erzogen
Schon in der frühesten Kindheit wird Bizet von den Eltern musikalisch gefördert. Der Vater war ursprünglich Perückenmacher, macht dann aber als Gesangslehrer Karriere. Die Mutter ist Pianistin. Noch kurz vor seinem zehnten Geburtstag wird der kleine Georges am Pariser Konservatorium aufgenommen.
Hier weckt er das Interesse von Fromental Halévy und Charles Gounod – beide musikalische Schwergewichte in der Pariser Opernszene Mitte des 19. Jahrhunderts.
Beide Komponisten werden Bizet über seine Zeit am Konservatorium hinaus rege unterstützen. Nach Halévys Tod wird Bizet dessen letzte Oper „Noé“ vollenden und 1869 seine Tochter Geneviève heiraten. Gegenüber dem 20 Jahre älteren Gounod ist Bizet voller Verehrung:
Als ich geboren wurde, waren Sie bereits ein Künstler. Ich bin aus Ihnen entsprungen; Sie sind die Ursache, ich bin die Folge. Heute kann ich Ihnen gestehen, dass ich Sorge hatte, in Ihren Schatten gestellt zu werden, und welche Mühe mir das gemacht hat, müssen Sie bemerkt haben.

Lehrjahre in Rom: Wenig produktiv, aber prägend
Bizets Chancen in den Pariser Komponistenkreisen steigen, als er 1857 für seine Kantate „Clovis et Clotilde“ mit dem Prix de Rome ausgezeichnet wird.
Der 19-Jährige erhält ein Stipendium, das ihm die Möglichkeit geben soll, zwei Jahre in Rom, ein Jahr in Deutschland und schließlich zwei Jahre in Paris zu studieren und zu komponieren.
Bizet hat viele Ideen, doch nur wenige Werke entstehen in den Stipendiumsjahren. Der junge Komponist hat wenig Interesse an sakralen Themen, lediglich ein „Te Deum“ komponiert er für einen Wettbewerb – und es fällt bei der Jury durch. Hingegen kristallisiert sich im Lehrstück „Don Procopio“ – einer erst 1957 fertiggestellten Opera buffa – Bizets Händchen für das Musikdrama heraus.
Die Station in Deutschland wird Bizet nie antreten. Er reist direkt nach Paris zurück, denn seine Mutter ist schwer erkrankt. Zurück in der Heimatstadt versucht Bizet nun, sich an der Oper einen Namen zu machen – auch des lieben Geldes wegen.
So notiert Bizet: „100.000 Francs sind noch gar nichts – gerade zwei bescheidene Erfolge an der Opéra-Comique. Ein Erfolg wie Meyerbeers ‚Le Prophète‘ bringt fast eine Million.“
Musikstunde Georges Bizet – Carmen und Co. (1-5)
Mit Nick-Martin Sternitzke
Unzählige Opernideen, doch nur mittelmäßige Libretti
An Ideen für Opern mangelt es Bizet nicht. Er erwägt, sich an Stoffen wie Shakespeares „Hamlet“, Cervantes‘ „Don Quijote“ oder Victor Hugos „Glöckner von Notre-Dame“ zu versuchen. Zeitweise überlegt er, selbst einen Stoff von Molière für die Oper zu adaptieren. Doch die Libretti, die man ihm anbietet, sind allenfalls Mittelklasse.
Drei Opern, die Bizet in den frühen 1860er-Jahren schreibt, bleiben zu Lebzeiten unaufgeführt. Seinen Lebensunterhalt finanziert der Komponist mit Klavierstunden und Orchestrierungsarbeiten. Und bleibt nicht ohne Häme für einige der Werke, die er arrangiert:
„Die Gelegenheit meiner Rache habe ich bereits wahrgenommen. Ich habe das Orchester gemeiner behandelt, als die Natur es vorgesehen hat“, schreibt er etwa über einen Walzer, der in seine Finger gelangt.
Bocelli und Terfel singen das Freundesduett aus Bizets „Les Pêcheurs de perles“
Verrisse, Misserfolge, Fehlbesetzungen
Seine „Perlenfischer“ schaffen es 1863 auf die Bühne des Pariser Théâtre Lyrique, die Oper fällt bei der Kritik allerdings durch und verschwindet nach 18 Vorstellungen von der Bühne.
Auch seine nächste Oper „La Jolie fille de Perth“ (1867) nach einem Roman von Walter Scott, wird von den Kritikern zerrissen – mehr wegen des klischeebeladenen Librettos. Bizets musikalische Entwicklung wird eher wohlwollend besprochen. Seine einaktige Oper „Djamileh“ scheitert an der Besetzung ihrer Hauptrolle.

„Carmens“ Siegeszug nach Bizets Tod
Mit „Carmen“ scheinen alle diese Probleme überwunden. Nach einer Vorlage von Prosper Mérimée schreiben mit Ludovic Halévy und Henri Meilhac zwei Autoren das Libretto, die für Offenbach Hits wie „La Belle Hélène“ oder „La Vie parisienne“ geschrieben haben. Die Hauptrolle singt die erfolgreiche Mezzosopranistin Célestine Galli-Marié. Unter den Besuchern der Premiere sind die führenden Komponisten von Paris: Massenet, Offenbach und Gounod.
Letzterer echauffiert sich schließlich über die Zitate, die Bizet aus seinen Werken entlehnt: „Diese Melodie stammt von mir! Georges hat sie mir gestohlen; nimm die spanischen Melodien und meine aus der Partitur heraus, und es bleibt nichts von Bizet übrig als die Soße, mit der er beide übergoss und versteckte“.
Dennoch: Ein radikaler Misserfolg ist „Carmen“ nicht. 40 Vorstellungen werden in Paris gegeben. Ein Jahr später wird die Oper in Wien gespielt und startet von dort aus ihren weltweiten Siegeszug. Georges Bizet wird ihn nicht mehr erleben.
Adaptionen als Musical, Ballett, Film und Orchesterstück
Heute gilt Bizets letzte Oper als eines der einflussreichsten Werke seiner Gattung. „Carmen“ lebt in vielen Formen weiter: als Orchestersuite, als Musical „Carmen Jones“, als Ballett „The Car Man“ und in zahlreichen Verfilmungen. Und nach wie vor natürlich auf den Bühnen der Welt. Nach 150 Jahren ist nach wie vor kein Ende in Sicht.