Wann ist man zu alt für den Club?
Alte Menschen, so sagt man, sieht man in Clubs selten. Schließlich gilt Feiern als Privileg der Jugend. Schöne Körper und kollektiver Exzess – kein anderer Bereich des kulturellen Lebens wird so sehr mit Jugend assoziiert wie das Nachtleben.
Doch wer sagt eigentlich, dass mit 40 oder 50 Schluss sein muss mit Tanzen und Ekstase? Ein paar junge Männer in einem TikTok-Video zum Beispiel. Auf die Frage, wann man zu alt sei für den Club, verkünden sie: Mit 40, spätestens, vielleicht auch schon mit 28. Danach: cringe.
Dabei war Clubkultur mal das Gegenteil solcher Regeln. Ein Ort der Befreiung von Herkunft, Geschlecht, Normen und auch Alter. Gerade in Szeneläden der Großstädte ist es selbstverständlich, dass Generationen nebeneinander feiern. Die Typen im Video waren offenbar noch nie in Berlin.
Lebensfreude im Alter? Potenziell peinlich
Über Clubkultur sagen die TikTok-Statements wenig aus. Dafür lassen sie tief blicken in unsere Bilder vom Alter – und dem Druck, sich „alterskonform“ verhalten zu müssen. Neugier und Ausgelassenheit widersprechen dem Bild des vernünftigen Seniors.
Wer alt ist, nehme sich bitte zurück. Lebensfreude wird im Alter zur potenziellen Peinlichkeit. „Viele Leute haben Vorurteile gegenüber älteren Menschen und was diese zu tun haben und was nicht. Ich glaube, wir haben da einige Schranken im Kopf“, sagt Pia Leonhardt, selbst DJ und Bookerin beim C/O Pop Festival in Köln.

Ein DJ-Workshop für Frauen ab 70
Um diese Schranken zu durchbrechen hat Leonhard mit dem Landesmusikrat NRW einen DJ-Workshop ins Leben gerufen, nur für Frauen über 70. „Forever fresh“, eine Initiative gegen Altersdiskriminierung in der Clubkultur.
Beim diesjährigen C/O-Pop Festival in Köln werden die DJ-Newcomerinnen erstmals vor Publikum auflegen. Die Resonanz ist riesig. 40 Seniorinnen bewarben sich für elf Plätze.

Es fehlen passende Räume und Angebote
Für Pia Leonhardt ein klares Zeichen: Das Interesse an Musik und Clubkultur ist da – es fehlen nur die passenden Räume. „Oft gibt es für Ältere nicht die richtigen Angebote, oder sie fühlen sich in den Clubs nicht mehr wohl“, sagt sie.
Denn auch Clubkultur verändert sich: die Stimmung auf der Tanzfläche, das Styling, der Sound. Wer anders sozialisiert ist, fühlt sich schnell fehl am Platz.
Beim DJ-Workshop bringen die Seniorinnen deshalb ihre eigene Musik mit. Von Trance bis Karnevalspop reicht die Bandbreite. Gespielt wird, was Spaß macht, sagt Leonhardt: „Von Evergreens über ‚Murder on the Dancefloor‘ bis Shirin David.“
Altersdiskriminierung trifft Frauen härter als Männer
Der Workshop umfasst das ganze Programm: Mixing, Musikauswahl, Technik, Social Media. Vor allem aber geht es um Sichtbarkeit. Um Raum, der älteren Frauen oft verwehrt bleibt.
Denn Altersdiskriminierung trifft Frauen in der Musik- und Clubkultur härter als Männer. Während männliche Künstler im Alter oft als „Legenden“ oder „Alt-Stars“ verehrt werden, geraten Frauen jenseits der 50 vom Radar.
Ausstellung zum Techno-Jubiläum 30 Jahre Time Warp – Sven Väth und andere Star-DJs durch die Linse von Luigi Toscano
Die Stadt Mannheim feiert ein Techno-Jubiläum. Zeitgleich zu sehen: die Ausstellung „30 Years of Time Warp“ mit den Porträts internationaler DJ-Größen von Luigi Toscano.
Auf Lineups sind ältere Frauen kaum erwünscht
In Leserumfragen wie der des „DJ Mag“ dominieren ältere Männer wie David Guetta (57) oder Armin van Buuren (48) wie selbstverständlich das Top100-DJ-Ranking. Weibliche DJs sind mit über 40 schon so gut wie unsichtbar.
Die progressivere „Groove“-Leserschaft feiert den 60-jährigen Sven Väth seit Jahren als unermüdlichen Szene-Gott. Die 56-jährige Ellen Allien, die ebenso für jahrzehntelange Clubgeschichte steht, dümpelt im Mittelfeld.
Die Clubszene, die sich selbst gern als divers und progressiv versteht, spricht kaum über Altersdiskriminierung. Oder darüber, dass vor allem ältere Frauen in den Lineups oder auf den Dancefloors rar sind.

Frau Meissner erarbeitet sich mit 62 den Respekt der Szene
Eine dieser Raritäten ist Cornelia Meissner. Unter ihrem DJ-Alias Frau Meissner legt die 62-jährige Lörracherin Hip-Hop-Platten auf – Black Music von den 1970er-Jahren bis heute.
Was die Leute an mir lieben ist erstens meine Musikauswahl und zweitens, dass so eine verrückte Alte wie ich das überhaupt macht.
Sie hat das DJing erst vor ein paar Jahren für sich entdeckt. Der Respekt der Szene kam schnell – auch wenn sie wegen ihres Alters Vorurteile erfuhr.
Humor und eine große Portion Ego
„Was will die Alte hier?“, so empfindet Meissner manche Reaktionen – unausgesprochen, aber spürbar. Sie kontert mit Humor und einer großen Portion Ego.
Gerade beim ganz jungen Publikum spüre sie die Unsicherheit. Aber auch das Gegenteil: 18-jährige Fans buchen sie für ihre Partys. „Es haben sich auch schon Leute für ihre Vorurteile entschuldigt“, erinnert sich Meissner. „Am Ende hieß es: Wow, das war ja mega geil.“

Normale Frauen mit Bock auf Musik
Altersdiskriminierung erlebt sie eher aus der eigenen Generation. „Anstößig ist das höchstens für die, die im Viereck denken. Die Jugend ehrt mich eher.“ Was die Leute an ihr lieben? „Erstens meine Musikauswahl – und zweitens, dass so eine verrückte Alte wie ich das überhaupt macht.“
Auch die Nachwuchs-DJs des Workshops „Forever Fresh“ wollen der Welt zeigen, was in ihnen stecke, sagt Projektleiterin Pia Leonhardt. „Dass sie nicht alt und klapprig sind, sondern normale Frauen die Bock auf Musik haben.“ Leonhardt ist überzeugt: Das Publikum wird sich mitreißen lassen.