Der Zapfenstreich ist heute ein Ritual für Tränen im Fackelschein. Eine relativ neue Entwicklung. Denn Zapfenstreiche gibt es seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Ein altes militärisches Zeremoniell, das immer stärker zu einer Form der politischen Selbstinszenierung wird.
Scholz hatte sich „In My Life“ von den Beatles, einen Auszug aus dem „2. Brandenburgischen Konzert“ von Johann Sebastian Bach und den Soul-Klassiker „Respect“ ausgesucht, der durch Aretha Franklin zum Welthit wurde.
Fünf Beispiele – so wurde die Zeremonie zur Selbstinszenierung
- Franz Josef Strauß: Tschingderassabumm
- Gerhard Schröder: Moritat für den „My-way“-Kanzler
- Angela Merkel: Rote Rosen – aber ohne Farbfilm
- Nun danket alle Kohl: Kanzler-Weihrauch in Speyer
- Karl-Theodor zu Guttenberg: Smoke on the Kopiergerät
Franz Josef Strauß: Tschingderassabumm

Das waren noch zackige Zeiten. Dezember 1962: Franz Josef Strauß war über seine Affären final gestolpert. Zum Abschied aus dem Amt des Verteidigungsministers ertönte auf dem Kölner Flughafen Wahn das volle Klimbim aus dem Arsenal der Militärkapelle.
Neben den Märschen für Heer, Luftwaffe und Marine und dem Deutschlandlied erklang traditionell der Choral „Ich bete an die Macht der Liebe“. Im pietistischen Text heißt es: „Ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken.“ Für den selbstbewussten Strauß klang das etwas arg nach Entsagung – und wirkte entsprechend aufgesetzt.
Gerhard Schröder: Moritat für den „My-way“-Kanzler

2005 schlug das Pendel in die entgegengesetzte Richtung. Mehr Selbstinszenierung war nie: Gerhard Schröder verdrückte selbstergriffen ein paar Tränen über seine Musikauswahl. Und die hatte mit militärischen Gepflogenheiten nur noch wenig zu tun.
Der Gas-Gerd beschenkte sich mit der „Moritat von Mackie Messer“ und schwelgte in Gershwins schwüler „Summertime“. Schließlich schluchzte er zu Frank Sinatras „My Way“. „Es ist mein Leben“ – diesen Satz hat Schröder später oft gesagt. „It’s me“ war auch das unverstellte Motto seines Zapfenstreichs.
Angela Merkel: Rote Rosen – aber ohne Farbfilm

Ganz so dick wie Gerhard Schröder trug seine Nachfolgerin nicht auf. Doch auch Angela Merkel hielt sich im Dezember 2021 an die neue Devise, den Zapfenstreich als Selbstporträt zu verstehen: „Für mich soll’s rote Rosen regnen“? Hildegard Knefs Wunsch ließ sich durchaus als Ansage verstehen.
„Großer Gott, wir loben Dich“ folgte als volltönende religiöse Referenz. Doch Merkel wäre nicht Merkel, hätte sie dem Schwulst nicht eine ironische Note hinzugefügt. Ihre roten Rosen blieben schwarzweiß: Den Schlusspunkt setzte sie mit Nina Hagen und „Du hast den Farbfilm vergessen“.
Nun danket alle Kohl: Kanzler-Weihrauch in Speyer

Oktober 1998 war wohl noch nicht die Zeit für die große Selbstdarstellung. Obschon Helmut Kohl mindestens so ergriffen von sich war wie Gerhard Schröder. Kohl war allerdings auch der erste Kanzler, für den überhaupt ein Zapfenstreich gespielt wurde, vor großer Dom- und Rhein-Kulisse in Speyer.
Vielleicht wählte der Kanzler der Einheit deshalb ein traditionelles Musikprogramm. Auf „Des Großen Kurfürsten Reitermarsch“ folgte der Choral „Nun danket alle Gott“ und Beethovens „Ode an die Freude“. Wer wollte, konnte vernehmen, wem laut Helmut Kohl der größte Dank gebührte.
Karl-Theodor zu Guttenberg: Smoke on the Kopiergerät

Auch ein Zapfenstreich kann schal wirken – und die Selbstinszenierung ein bisschen peinlich. Das Beispiel dafür lieferte im März 2011 Karl-Theodor zu Guttenberg, der kein bedeutender Verteidigungsminister gewesen war.
Deep Purple mit „Smoke on the Water“ ist vielleicht das Einzige, was als politische Erinnerung an zu Guttenberg zurückbleibt – neben der Beendigung der Wehrpflicht und der Affäre des CSU-Politikers um seine zusammenkopierte Doktorarbeit. Außerdem die Erkenntnis: Deep Purple ist einfach nichts für Blaskapelle.