Die Berliner Regisseurin Ina Weisse ist aktuell eine der spannendsten und interessantesten Filmemacherinnen der Bundesrepublik. Weisse arbeitet in erster Linie als Schauspielerin, doch immer wieder besticht sie mit überaus originellen, sensibel erzählten und sehr persönlichen Autorenfilmen. Jetzt kommt ihr Film „Zikaden“ mit Nina Hoss und Saskia Rosendahl in die Kinos.
Zwei Leben, die sich kaum berühren
Das wohlgefügte Leben von Isabell gerät durcheinander, als die Berliner Innendesignerin begreift, dass ihre Eltern zunehmend nicht mehr alleine zurechtkommen. Während sie zwischen Berlin und dem Brandenburger Wochenendhaus pendelt, trifft sie immer wieder auf Anja, eine rätselhafte junge Frau, die sich als alleinerziehende Mutter einer Tochter mit schlechten Jobs über Wasser hält.




Etwas Unausgesprochenes trennt die beiden Frauen
Mit Nina Hoss und Saskia Rosendahl spielen zwei der besten deutschen Gegenwartsschauspielerinnen diese beiden sehr ungleichen Frauen, deren Leben sich kaum berühren, die sich nun aber zunehmend einander annähern.
Eine Zweckbekanntschaft, die auch Aspekte einer echten Freundschaft hat, das Erkennen einer Nähe und Verwandtschaft über alle Grenzen des eigenen Hintergrunds hinweg. Und in der doch auch immer etwas da ist, das beide fundamental trennt, etwas Unausgesprochenes. Auch mögliche schmutzige Geheimnisse.

Ein Touch von Psychothriller
Könnte es nicht sein, dass die Treffen der beiden gar nicht zufällig waren, dass Anja sie geplant hat, dass sie Isabell bewusst kennenlernen wollte, um sie auszunutzen, sich in ihr Leben einzuschleichen und einen Anteil daran zu gewinnen, aus Neid oder aus Gier, oder weil sie einfach nicht ganz normal ist? Oder ist das alles reine Einbildung?
Genau solche Fragen treiben diesen Film an und geben ihm auch den Touch eines Psychothrillers. Dies ist auch ein Film über die Angst, die untergründige, aber umso wirksamere Angst der bildungsbürgerlichen Schichten vor den Bildungsfernen, vor der Landbevölkerung.
Sehnsucht nach einem anderen Leben
Aber was treibt Anja wirklich an? Sie hat auch etwas ganz und gar Verlorenes, Hilfloses und gleichzeitig eine große Sehnsucht. Sie will nicht nur die sein, die sich mehr schlecht als recht finanziell über Wasser hält und mehr schlecht als recht ihre Tochter großzieht.
Auch sie hat Sehnsüchte, auch sie hat den Wunsch nach einem anderen, besseren Leben – und es ist keine Frage, dass sie zumindest sehnsuchtsvoll auf Isabell schaut. Der scheint alles zuzufallen und sie kann scheinbar das, was sie längst lebt und besitzt, gar nicht würdigen.

Berlin-Mitte trifft auf Brandenburg
Diese Anja ist die eigentliche Hauptfigur des Films. Sie ist die Rätselhafte, sie ist die, von der man mehr wissen will, während man von Isabel alles zu wissen glaubt. Sie steht für die individualistische „Generation Berlin". Selbstbewusste, bildungsbürgerliche Menschen, die Ende der 80er und in den wilden 90ern erwachsen wurden, die ihr Leben für sich definieren und ohne Bindungen leben wollen.
Dieses Berlin Mitte trifft jedenfalls hier aufs Brandenburger Land.
Zwei Universen einer gespaltenen deutschen Gesellschaft
Das Thema Landflucht, das Aufeinandertreffen von Städtern und Landmenschen, das auch in anderen neueren deutschen Filmen zunehmend eine Rolle spielt, ist hier ein zentrales Motiv. Es ist die Geschichte von den „Somewheres" und den „Anywheres", wie Soziologen das nennen, von den zwei Universen einer gespaltenen deutschen Gesellschaft: Sahnetorte gegen Superfood, Ballermann gegen Achtsamkeit, Minijobs gegen Öko-Elite.
„Zikaden“ ist ein kleiner, feiner, sehr sehenswerter und geheimnisvoller Film, der auf eine zarte sensible Weise erzählt: unaufdringlich, sanft, über Beobachtungen, nicht über Dialoge.
Trailer „Zikaden“, ab 19.6. im Kino
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