Flucht nach Deutschland - Leben in Stuttgart

Mit 16 zum ersten Mal in einer richtigen Schule: "Ich will lernen und ein besseres Leben haben"

Stand

Von Autor/in Sophie Rebmann

Seine Eltern sind Analphabeten, auch er konnte im Iran nicht zur Schule gehen. In Stuttgart lernt Sonatullah jetzt jeden Tag, um zu studieren und einen guten Job zu bekommen.

In Stuttgart gehen die Träume von Sonatullah Uzbek und seiner Familie in Erfüllung: Als erster in der Familie geht der 17-Jährige in die Schule. Die Familie setzt darauf, dass er mit dem Schulabschluss einen besseren Stand im Leben hat.

Er war 16 Jahre alt, als er zum ersten Mal einen Klassenraum betrat. Denn der junge Afghane und seine Familie hatten zuvor als Flüchtlinge im angrenzenden Iran gelebt - ohne Papiere. Deshalb konnte weder er noch seine Geschwister in eine öffentliche Schule gehen. Und damit schien sich das Schicksal seiner Eltern zu wiederholen: Auch sie hatten in Afghanistan keinen Zugang zu Bildung, sind Analphabeten geblieben.

Wenn die Schule Hoffnung bietet

Aber ihre Kinder sollten es besser haben: Deshalb zahlten die Eltern einen Lehrer, der Sonatullah zusammen mit einem anderen Dutzend Flüchtlingskinder privat unterrichtete. Seine Schwester konnte den Unterricht nicht besuchen. Und auch er musste arbeiten, um das Schulgeld zusammen zu bekommen. Als Erntehelfer - und Straßenverkäufer.

Ich habe Kaugummis, Schokolade, solche Sachen verkauft. Im Sommer habe ich immer Tomaten und Trauben gepflückt.

In Deutschland kann er sich erstmals aufs Lernen konzentrieren - und darf alle Fragen stellen, die er hat. Das sei im Iran anders gewesen. "Wenn wir eine Frage haben, beantworten sie sie sofort, damit keine Frage mehr im Kopf bleibt", sagt der 17-Jährige über die Lehrkräfte im Kurs, den er besucht. "LISA-Kurs" heißt das von der Stadt Stuttgart finanzierte Angebot, in dem Jugendliche und junge Erwachsene den Hauptschulabschluss nachholen können. Sonatullah ist voll des Lobs: "Sie unterstützen sehr viel und fragen: Wie kann ich dir helfen, dass du dein Ziel erreichen kannst? Im Iran hatte ich diese Möglichkeit nicht."

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Hauptschulabschluss, dann Studium?

Jetzt steckt er mitten in den Prüfungen für den Hauptschulabschluss: Die schriftliche Prüfung hat er geschafft, die mündliche steht noch aus. "Bisher ist es ganz gut gelaufen", sagt er. Er habe den Stoff das ganze Jahr über wiederholt, auch wenn dafür die Freizeit drauf geht. Sein Traum: Maschinenbau studieren. Die Idee sei ihm gekommen, als er seinen Vater im Iran auf eine Baustelle begleitete und sah, welche schwere körperliche Arbeit die Menschen zu verrichten hatten. Er will einmal Maschinen entwickeln, die Menschen entlasten.

Kurs bietet jungem Afghanen die Chance auf einen Hauptschulabschluss

Ahmet Göksu, Leiter der Einrichtung, die den Kurs zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt Stuttgart (AWO) anbietet, ist der junge Sonatullah besonders aufgefallen: "Er ist ein super feiner Kerl, der die Chance wahrgenommen hat und sich da wirklich mit Herzblut reingeschmissen hat und versucht hat, das Beste rauszuholen."

Göksu ist zuversichtlich: Der junge Afghane wird einen guten Abschluss machen, könnte sein ehrgeiziges Ziel eines Studiums erreichen. Immer wieder bekomme er Besuch von ehemaligen Teilnehmenden, die inzwischen fest im Leben stehen - und dankbar sind, für den "Startschuss".

Sie sind sehr dankbar für die Möglichkeit, sich hier weiterzubilden, auszubilden und auch sich für das Leben zu wappnen.

Der Kurs sei nicht nur für die Teilnehmenden ein großer Gewinn, betont Göksu. "Solche Kurse sind auch für die Gesellschaft sehr wichtig, weil wir junge Leute, die nach Deutschland kommen, abholen und ihnen eine Zukunftsperspektive geben können. Ein Hauptschulabschluss bedeutet heutzutage, dass man auf jeden Fall eine bessere Ausbildungsmöglichkeit bekommen kann, dass man sich weiterbilden kann, einen Realschulabschluss nachholen kann und danach ein Abitur machen kann, vielleicht auch noch studieren." Und damit tragen sie letztlich wieder zur Gesellschaft bei.

Bildung als Chance für die ganze Familie

Auch Sonatullah Uzbek ist dankbar für die Chance. Er habe Spaß am Lernen, sagt er. Und er weiß, dass von seinem Bildungserfolg auch seine Familie abhängt. "Meine Eltern hatten die Möglichkeit nicht, in die Schule zu gehen. Deshalb will ich sie immer unterstützen, lernen, die Schule besuchen." Und auch, wenn seine Eltern ihn nicht beim Lernen unterstützen können: Sie bestärken ihn, das allein gebe Mut. "Sie sagen mir: Wir unterstützen dich. Und das motiviert mich schon."

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